In Cannabis steckt viel mehr als THC – der CBD-Boom ist der beste Beweis dafür. Aber wenn es darum geht, Produkte auf dem legalen Freizeitmarkt zu verkaufen, scheinen nur zwei Faktoren wichtig: der Listenpreis und das THC-Gehalt. Dies ist ein Problem.
In den Regalen der Apotheken in den Bundesstaaten der USA, in welchen Cannabis legal verkauft wird, dominieren hochpotente Cannabisblüten mit einem THC-Gehalt von 25 Prozent. Während sich Cannabis mit hohem THC-Gehalt schnell verkauft, setzt Gras mit niedrigerem THC-Gehalt oft Staub an. Eine Analyse von über 30 Millionen Cannabistransaktionen in Washington D.C. hat ergeben, dass Apotheken einen wesentlichen Aufpreis auf Cannabis mit hohem THC-Gehalt aufschlagen können.[1]
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Leute bereit sind diese Preise zu bezahlen, weil sie sicher sind, dass mit dem stärksten Gras auch das beste Grad mit nach Hause nehmen. Erste Forschungsergebnisse zeigen, dass dem ein Irrtum zugrunde liegt.
Sogenanntes «THC-Shopping» ist etwa vergleichbar mit dem Kauf von Wein aufgrund eines ästhetischen Etiketts: genauso wie die Qualität eines Weinflaschendesigns wenig über den Genuss des Inhalts aussagt, so wenig lässt der THC-Wert einer Blüte einen Schluss auf die Qualität zu. Dass der THC-Gehalt nicht nur nichts damit zu tun, wie „gut“ das Gras ist, sondern auch ein schlechter Indikator für die Potenz ist, stellte kürzlich eine von der Universität Colorado durchgeführte Studie fest.[2]
Verschiedene THC-Gehaltsstufen erzeugen ein ähnliches Rauschgefühl
Forscher des Institute of Cognitive Science der Universität von Colorado in Boulder dokumentierten die Erfahrungen von 121 Cannabiskonsumenten. Die Hälfte der Studienteilnehmer konsumierte Cannabiskonzentrate – Cannabisextrakte mit sehr hohem THC-Gehalt – und die andere Hälfte bevorzugte Cannabisblüten. Beide Gruppen erhielten Cannabis in unterschiedlichen „Stärken“: Blütenkonsumenten probierten Cannabisblüten mit einem THC-Gehalt von 16 oder 24 Prozent, und Extraktkonsumenten erhielten Öl mit 70 oder 90 Prozent THC.
Die Forscher untersuchten das Blut der Studienteilnehmer und überwachten ihre Stimmung, ihre kognitiven Funktionen und befragen die Probanden nach ihren Rausch- und Gemütszustand vor, unmittelbar nach und eine Stunde nach dem Konsum.
Wie von den Forschern erwartet, hatten die Konzentratkonsumenten nach dem Konsum sehr hohe THC-Werte in ihrem Körper. Bei der subjektiven Beurteilung des Rauschzustandes kamen aber interessante Ergebnisse zum Vorschein. Tatsächlich war der von den Teilnehmern selbst angegebene Rausch in etwa derselbe, unabhängig vom THC-Gehalt des eingenommenen Stoffes. Ebenso verhielt es sich mit den Messungen des Gleichgewichts und der kognitiven Beeinträchtigung. Blüte oder mit tiefem oder hohem THC-Gehalt oder Konzentrat – die Konsumenten beschrieben es alle als qualitativ gleichwertigen Rausch.
„Die Menschen in der Gruppe mit der hohen Konzentration waren viel weniger beeinträchtigt, als wir dachten“, sagte Kent Hutchinson, ein Professor für Psychologie, der sich mit Sucht beschäftigt, in einer CU-Pressemitteilung. „Hätten wir den Menschen eine so hohe Alkoholkonzentration verabreicht, wäre es anders ausgegangen“.
Sechzehn Prozent THC sind im Vergleich zu 24 Prozent THC ein großer Unterschied – ein um 50 Prozent stärkeres Niveau. Wie kann es sein, dass Konsumenten von Produkten mit so unterschiedlichen „Stärken“ über so ähnliche psychoaktive Wirkungen berichten?
Der Cannabisrausch ist eine Wirkung vieler Faktoren
Die kurze Antwort ist eine Theorie, die einige Cannabisforscher seit Jahren vertreten: beim Cannabisrausch sind viel mehr Faktoren im Spiel als THC. Eine Cannabissorte nach ihrem THC-Gehalt zu beurteilen, ist nicht anders, als einen Film nach dem Hauptdarsteller zu beurteilen. Die THC-Zahl ist kein Indikator für die Leistung (eine sehr große Ausnahme hiervon: Esswaren. Wenn auf einem Lebensmittel 100 Milligramm THC angegeben sind und auf einem anderen 10 Milligramm, und man isst die 100, ist man auf jeden Fall länger high, als wenn man die 10 isst).
Vielmehr scheint der Rausch des Cannabiskonsum von Cannabinoiden – man schätzt die Zahl auf über 100, darunter CBD – und aromatischen Verbindungen, den Terpenen, abzuhängen. Alle diese Stoffe scheinen in gewissen Szenarien zusammen zu wirken, ein Phänomen, das als „Entourage-Effekt“ bekannt ist.[1]
Diesem wird in der Praxis jedoch zur Zeit noch keine Aufmerksamkeit geschenkt. «Es ist eine Schande», sagte Neil Dellacava, der Mitbegründer von Gold Seal, einer in San Francisco ansässigen Cannabismarke, die sich auf High-End-Blüten spezialisiert hat in einem Interview mit Forbes in 2020. «Ich finde Zeug, das absolut erstaunlich ist und das ich in den Müll werfen muss, weil es mit 18 oder 19 Prozent getestet wurde. Bei diesem Wert lässt sich das Gras (…) trotz eines erstaunlichen Terpenprofils einfach nicht verkaufen», sagte er. «Die Leute verstehen das einfach nicht», fügte er hinzu. «Wenn die Leute einkaufen gehen, achten sie auf zwei Dinge: Sie achten auf den Preis und sie achten auf den THC-Anteil.» [2]
Es wird wohl lange dauern, bis die Käufer ihre Gewohnheiten ändern und erkennen, dass der THC-Gehalt nicht mit dem Alkoholgehalt auf einem Bieretikett vergleichbar ist. Dafür braucht es zusätzliche Gelder für Forschung in Bezug auf das Zusammenspiel von THC, Cannabinoiden und Terpenen, sowie Aufklärungs- und Informationskampagnen um die Konsumenten über die Erkenntnisse der Forschung aufzuklären. Der Verein Cannabis Research bemüht sich um die Finanzierung und Durchführung solcher qualitativ hochwertiger Forschung.
[1] Smart, R., Caulkins, J. P., Kilmer, B., Davenport, S., & Midgette, G. (2017). Variation in cannabis potency and prices in a newly legal market: evidence from 30 million cannabis sales in Washington state. Addiction, 112(12), 2167-2177.
[2] Bidwell, L. C., Ellingson, J. M., Karoly, H. C., YorkWilliams, S. L., Hitchcock, L. N., Tracy, B. L., … & Hutchison, K. E. (2020). Association of naturalistic administration of cannabis flower and concentrates with intoxication and impairment. JAMA psychiatry, 77(8), 787-796
[3] Ferber, S. G., Namdar, D., Hen-Shoval, D., Eger, G., Koltai, H., Shoval, G., … & Weller, A. (2020). The “entourage effect”: terpenes coupled with cannabinoids for the treatment of mood disorders and anxiety disorders. Current neuropharmacology, 18(2), 87-96